Der Spatzenbaum
Ein Kinderbuch mit vielen Geschichten rund um den Spatzen Tschilipik und seine Familie

 

1977, Facla Verlag Temeswar





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  Leseprobe, S.24:

... Ein junger Spatz erzählte:

"Heute hüpfte ich vor der Bäckerei, wo die das Brot verladen, auf und ab. Die Erde war voller Krümelchen, es war eine große Freude! Aber ich konnte nie in Ruhe essen, immer wurde ich durch die Füße der Menschen vertrieben. Und plötzlich trat einer nach mir und eine Stimme rief: Geh weg, du frecher Spatz, sonst trete ich dir auf die Zehen!"

"Wie unverschämt! Wie gemein!" riefen die anderen. "Opa, du bist uralt und weise und erfahren! Sag du: Sind wir Spatzen frech? Sind wir wirklich frech, wie wir das oft hören müssen?"

"Beruhigt euch, liebe Kinder!" sagte der Alte. "Die Menschen verwechseln Mut mit Frechheit."

"Das stimmt! Jawohl!"

"Wir Spatzen sind die mutigsten Vögel, obwohl wir zu den Kleinsten und Schwächsten gehören! Hätten wir keinen Mut, wäre unser Volk schon längst ausgestorben, aufgefressen, verhungert und erfroren!"

"So ist es!"
"So klein wir sind, wir wagen uns zwischen die Hufe des I-ha-ha-ha- Tieres, wir fressen bei den Hühnern, obgleich wir wissen, dass das schreckliche Miau-Tier hinter einem Baume lauert. Wir wagen uns auf die Straße, wo diese glänzenden Wagen mit dem stinkenden Rauch uns bedrohen. Wir fliegen zum Maissilo, obwohl wir wissen, dass der Wächter das Blitz- und Donnerrohr bereithält! Warum tun wir das? Weil es Winter ist und wir auch im Winter essen müssen! Wären wir nicht mutig im Winter, wer fräße die Raupen im Sommer? Die paar Amseln, Meisen und Gimpel? Oder der seltene Kuckuck? Vielleicht die geschniegelten Schwalben, deren Zahl von Jahr zu Jahr kleiner wird? Nein! Wir sind die große Armee gegen Fliegen und Raupen! Uns braucht man im Sommer – aber vergisst uns im Winter! Frech nennen sie uns, bloß weil wir tapfer sind! Aber es macht uns nichts aus – wie erwarten keinen Dank!"

Eine große Pause entstand. Dann – o Wunder – begann der Alte leise zu singen. Eine Melodie, die ich noch nie gehört hatte. Und es klang so bisschen feierlich – war es die Spatzenhymne? Allmählich fielen alle ein und zuletzt zwitscherte der ganze, große Baum. Endlich konnte ich auch den Refrain verstehen:

"Wir werden brüten, piepsen, fliegen!

Wir Spatzen!

Wir lassen uns nicht unterkriegen!

Schilp! Schilp! Schilp!"


 


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