Bühnenwerke: Zwei Schwestern | ||
DER INHALT Die Schwestern Juli Wirth und Resi Steingasser, zwei Bäuerinnen in einem banatschwäbischen Dorf, ziehen Bilanz nach Resis soeben abgeschlossenen Geburtstagsfeier. Ihr Gespräch bezieht sich auf die Beziehungen im Rahmen einer von der tragischen Geschichte der gesamten schwäbischen Gemeinschaft geprägten Großfamilie. Somit kommen (bis 1980 öffentlich streng tabuisierte) Themen zur Sprache, wie die Zwangsverschleppung der Rumäniendeutschen in die Sowjetunion, die Bãrãgan-Deportation, die Enteignung und die als "Dorfsystematisierung" beabsichtigte Zerstörung des traditionellen schwäbischen Gemeinschaft. Die Inszenierung von Diogene Bihoi ist ein erschütterndes Bekenntnis gegen das Vergessen.
Auszug
aus einem Gespräch mit Hans Kehrer, alias Stefan Heinz, vor der Uraufführung
von seinem Stück "Zwei Schwestern" im Deutschen Staatstheater
Temeschburg. (....) Alle meine Stücke sind in der hiesigen (Banater) deutschen Bevölkerung verwurzelt, in unserem Hiersein, und beschäftigen sich mit dieser Bevölkerung. Mit dem Schauspiel ,Versunkene Äcker`, dessen Handlung sich um die Jahrhundertwende zuträgt, brachte ich Ortsgeschichte sozial-kritisch auf die Bühne, es folgte zur Abwechslung mal ein Sprung in die Gegenwart mit den Mitteln der Komödie, ,Es geht um die Heirat‘, dann ging es wieder zurück in die Vergangenheit, zuerst in unsere jüngere Vergangenheit mit ,Narrenbrot‘ und in eine weiter zurückliegende Zeit mit der Dramatisierung von Adam Müller-Guttenbrunns autobiographischem Roman ,Meister Jakob und seine Kinder‘, die zum 125. Geburtstag des Schriftstellers und zum 25. Jubiläum der Temeswarer Deutschen Staatsbühne gespielt wurde. Das neue Stück reicht bis in unsere Gegenwart hinein. Der Unterschied zu meinen bisherigen Stücken ist vielleicht der, dass hier sehr schwierige Fragen unserer jüngeren Vergangenheit behandelt werden, und ich verweise dabei ausdrücklich auf die Zeitspanne 1945-1956, in welcher große Teile unserer Bevölkerung gegen ihren Willen nicht in ihrer Heimat leben konnten, als es neben den Zehntausenden indirekt Betroffene gab, die aber diese Zeit zutiefst miterlebt und miterlitten haben. Der Untertitel heißt : ,Eine schwäbische Passion`. Ein Leidensweg? In gewissem Sinne ja. Denn alle Umwälzungen in der Geschichte, auch die revolutionärer Art, bringen nicht nur Fortschritt, sondern auch sehr viel Leid mit sich, persönliches Leid. Der zweite Weltkrieg zum Beispiel, und manches in seinem Gefolge hat bewiesen, dass der einfache Mensch, der Mann von der Straße, unter solchen Umständen Zwängen unterworfen ist, und für macht-politische Ziele eingesetzt wird, mit denen er sich nicht immer identifiziert. Die Hauptlast der großen Kämpfe und Auseinandersetzungen unserer Zeit liegt doch immer auf den Schultern des Volkes. Im Zuge dieser weltgeschichtlichen Auseinandersetzungen kommt es auch vor, dass kleineren oder größeren ethnischen Gruppen Unrecht getan wird als Folge dieser Auseinandersetzungen. Mit der verfließenden Zeit, mit der Konsolidierung der Verhältnisse, kommen dann Zeiten des Ausgleichs, der Ruhe, der Rehabilitierung, in denen dann jeder Gutwillige seinen Platz findet, womit aber nicht gesagt werden soll, dass es keine gewichtigen Probleme mehr gäbe.(...) Im persönlichen Schicksal dieser beiden Schwestern widerspiegelt sich eigentlich das Schicksal der Allgemeinheit: Was sie erlebten und erlitten, haben Tausende erlebt und erlitten, sie stehen stellvertretend für eine ganze Gemeinschaft.
"BADISCHE
NEUESTE NACHRICHTEN" vom 09.04.1991 Gastspiel aus TemeswarVom Leidensweg einer VolksgruppeDie Toten, Vernichteten, Vertriebenen, Verfolgten - wieviele waren es in diesem Jahrhundert des Fortschritts? Tausende? Zehntausende? Hunderttausende? Für unser Bewusstsein sind diese Zahlen im Grunde unbedeutend: Wir können sie nicht fassen. Und vielleicht ist mancher schon abgestumpft, rastet das Zählwerk einfach weiter. Heute Kurden. Wieviele? Gestern Kambodschaner. Wieviele? Vorgestern Tschechen, Polen, Juden. Auch Deutsche. Zum Beispiel. Das
Grauen, das Leid der Opfer wird – wenn überhaupt – erst fassbar am
Einzelschicksal. Es ist denn auch nur konsequent, wenn der rumänien-deutsche
Schauspieler und Autor Hans Kehrer sei 1980 uraufgeführtes Stück "Zwei Schwestern" auf das Minimum an personalem Aufwand reduziert hat.
Der Schicksalsweg dieser beiden, Banater Bäuerinnen, - "eine schwäbische
Passion", wie es im Untertitel heißt, - wird nicht zum folkloristischen
Schlachtengemälde des Terrors und der Trauer ausstaffiert, sondern zu
einer Art Lebensbeichte verknappt, verdichtet. Wie eindringlich diese Form
sein kann, zeigte jetzt insbesondere der erste Teil von Diogene Bihois
Inszenierung der "Zwei Schwestern", die als Gastspiel des Deutschen
Staatstheaters Temeswar ( Teatrul German de Stat Timisoara) bei den europäischen
Kulturtagen in Karlsruhe zu sehen war. Ein
Bild beherrscht die erste Hälfte der Aufführung: Die beiden Schwestern
sitzen in ihren dunklen Festtagstrachten am Tisch. Starr anfangs.
Unbeweglich fast. Vor allem Resi, die Jüngere, thront einer massigen
Statue gleich auf ihrem Sitzmöbel. Die Requisiten auf dem Tisch deuten
den Anlass an, der bald Auslöser eines Rückblicks zwischen den beiden
Schwestern wird. Es ist Resis 65. Geburtstag. Jahrzehnte gehütete Tabus
gelten nun nicht mehr: Sie will "eemol de Stei runnerschüttle von der
Bruscht", erklärt Resi in der singenden, süddeutsch geprägten derben
Sprache der Banater Schwaben. Vordergründig
geht es um die Frage, wer das Haus von Resi erben soll – sie selbst ist
kinderlos : ihr größter Kummer, Quell des Neides gegenüber ihrer älteren
Schwester, die ihr, Resi, in jungen Jahren mit obskuren Medikationen gegen
allzu frühe Schwangerschaft helfen wollte. Seither ist Resi unfruchtbar.
Kinderlos. Allein. Einsam. Denn auch die Männer sind tot. Resis hölzern-unsensibler
Mann starb im Krieg; die Ehegatten ihrer Schwester Juli erlagen den Folgen
der Nachkriegsdemütigungen und Torturen, der Zwangsarbeit in sowjetischen
Kohlegruben, der Zwangsumsiedlung in die rumänische Steppe, ins Baragan.
Juli hat aber wenigstens noch ihre Kinder. Die
Szenerie ist gerade bis zur Pause gekennzeichnet von archaischer Strenge
und Tragik. Das schwere Schicksal der Schwestern ist trotz mancher
jahrelanger Trennungen eng ineinander verwoben. Das Resümee, das beide
ziehen, entspricht einem Leidensinventar: Glück, das ist die seltene,
immer zu kurze Ausnahme. Im Hintergrund die Kämpfe und Konflikte ihrer
Zeit. Sie
dämmern auf, wie der Trojanische Krieg in den Epen Homers – aber das
ist die Katastrophe, die von Deutschland aus Europa überzog. Beklemmend
macht Hans Kehrers Zwei – Personen-Stück bewusst, wie oft die Menschen
im Banat während der vergangenen 50 Jahre zu den Verlierern zählten: Von
der deutschen Wehrmacht rekrutiert, von den Russen verschleppt, von den
Rumänen geschunden, als Faschisten beargwöhnt. Im zweiten Teil des Stückes,
in dem Kehrer vermehrt auf Probleme der Gegenwart hinweist – auf die
Landflucht der Jugend oder den Drang zur Auswanderung nach Deutschland –
geht von der anfänglichen Stärke etwas verloren. Dank der beiden sehr
engagiert und konzentriert spielenden Darstellerinnen Ida Jarcsek-Gaza
(Juli) und Ildiko Jarscek-Zamfirescu (Resi) bleibt freilich auch
dann jene Betroffenheit, die dieses Stück auslöst. Betroffenheit über
ein Schicksal, das so oder ähnlich, sehr, sehr viele Menschen schlug. BADISCHE NEUESTE NACHRICHTEN , 09.04.1991 |
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