Bühnenwerke: Zwei Schwestern
 

 

 

 

 

Deutschen Staatstheater Temeswar

Eine schwäbische Passion. Schauspiel in banatschwäbischer Mundart.

Premiere: 26. April 1980; 
Regie: Michael Bleiziffer

Das Stück erhielt 1980 den Hauptpreis bei den "Landesfestspielen der Theater der mitwohnenden Nationalitäten" in Sfantu Gheorghe (Siebenbürgen). Neuinszenierung des Stückes (in deutscher Hochsprache)

NEUINSZENIERUNGEN:

1991 unter der Regie von Diogene Bihoi Beteiligung am Europäischen Theatertreffen in Karlsruhe

1992 (18.4) unter der Regie von Ildiko Jarcsek-Zamfirescu Aufführung am Theater Baden-Baden 

2001 Teilnahme an den Gedenkveranstaltungen "55 Jahre Russlanddeportation" und Gastauftritte in Landshut, Nürnberg und Regensburg

1997 bietet Hans Kehrers Stück auch die Grundlage zum gleichnamigen, in der Regie von Adrian Drâguşin gedrehten TV-Film des rumänischen Fernsehens

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DER INHALT

Die Schwestern Juli Wirth und Resi Steingasser, zwei Bäuerinnen in einem banatschwäbischen Dorf, ziehen Bilanz nach Resis soeben abgeschlossenen Geburtstagsfeier. Ihr Gespräch bezieht sich auf die Beziehungen im Rahmen einer von der tragischen Geschichte der gesamten schwäbischen Gemeinschaft geprägten Großfamilie. Somit kommen (bis 1980 öffentlich streng tabuisierte) Themen zur Sprache, wie die Zwangsverschleppung der Rumäniendeutschen in die Sowjetunion, die Bãrãgan-Deportation, die Enteignung und die als "Dorfsystematisierung" beabsichtigte Zerstörung des traditionellen schwäbischen Gemeinschaft. Die Inszenierung von Diogene Bihoi ist ein erschütterndes Bekenntnis gegen das Vergessen.

 

Auszug aus einem Gespräch mit Hans Kehrer, alias Stefan Heinz, vor der Uraufführung von seinem Stück "Zwei Schwestern" im Deutschen Staatstheater Temeschburg.

(....) Alle meine Stücke sind in der hiesigen (Banater) deutschen Bevölkerung verwurzelt, in unserem Hiersein, und beschäftigen sich mit dieser Bevölkerung. Mit dem Schauspiel ,Versunkene Äcker`, dessen Handlung sich um die Jahrhundertwende zuträgt, brachte ich Ortsgeschichte sozial-kritisch auf die Bühne, es folgte zur Abwechslung mal ein Sprung in die Gegenwart mit den Mitteln der Komödie, ,Es geht um die Heirat‘, dann ging es wieder zurück in die Vergangenheit, zuerst in unsere jüngere Vergangenheit mit ,Narrenbrot‘ und in eine weiter zurückliegende Zeit mit der Dramatisierung von Adam Müller-Guttenbrunns autobiographischem Roman  ,Meister Jakob und seine Kinder‘, die zum 125. Geburtstag des Schriftstellers und zum 25. Jubiläum der Temeswarer Deutschen Staatsbühne gespielt wurde. Das neue Stück reicht bis in unsere Gegenwart hinein.

Der Unterschied zu meinen bisherigen Stücken ist vielleicht der, dass hier sehr schwierige Fragen unserer jüngeren Vergangenheit behandelt werden, und ich verweise dabei ausdrücklich auf  die Zeitspanne 1945-1956, in welcher große Teile unserer Bevölkerung gegen ihren Willen nicht in ihrer Heimat leben konnten, als es neben den Zehntausenden indirekt Betroffene gab, die aber diese Zeit zutiefst miterlebt und miterlitten haben.

Der Untertitel heißt : ,Eine schwäbische Passion`. Ein Leidensweg? In gewissem Sinne ja. Denn alle Umwälzungen in der Geschichte, auch die revolutionärer Art, bringen nicht nur Fortschritt, sondern auch sehr viel Leid mit sich, persönliches Leid. Der zweite Weltkrieg zum Beispiel, und manches in seinem Gefolge hat bewiesen, dass der einfache Mensch, der Mann von der Straße, unter solchen Umständen Zwängen unterworfen ist, und für macht-politische  Ziele eingesetzt wird, mit denen er sich nicht immer identifiziert. Die Hauptlast der großen Kämpfe und Auseinandersetzungen unserer Zeit liegt doch immer auf den Schultern des Volkes. Im Zuge dieser weltgeschichtlichen Auseinandersetzungen kommt es auch vor, dass kleineren oder größeren ethnischen Gruppen Unrecht getan wird als Folge dieser Auseinandersetzungen. Mit der verfließenden Zeit, mit der Konsolidierung der Verhältnisse, kommen dann Zeiten des Ausgleichs, der Ruhe, der Rehabilitierung, in denen dann jeder Gutwillige seinen Platz findet, womit aber nicht gesagt werden soll, dass es keine gewichtigen Probleme mehr gäbe.(...)

Im persönlichen Schicksal dieser beiden Schwestern widerspiegelt sich eigentlich das Schicksal der Allgemeinheit: Was sie erlebten und erlitten, haben Tausende erlebt und erlitten, sie stehen stellvertretend für eine ganze Gemeinschaft.

 


"BADISCHE NEUESTE NACHRICHTEN" vom 09.04.1991

Gastspiel aus Temeswar

Vom Leidensweg einer Volksgruppe

Die Toten, Vernichteten, Vertriebenen, Verfolgten  - wieviele waren es in diesem Jahrhundert des Fortschritts? Tausende? Zehntausende? Hunderttausende? Für unser Bewusstsein sind diese Zahlen im Grunde unbedeutend: Wir können sie nicht fassen. Und vielleicht ist mancher schon abgestumpft, rastet das Zählwerk einfach weiter. Heute Kurden. Wieviele? Gestern Kambodschaner. Wieviele? Vorgestern Tschechen, Polen, Juden. Auch Deutsche. Zum Beispiel.

Das Grauen, das Leid der Opfer wird – wenn überhaupt – erst fassbar am Einzelschicksal. Es ist denn auch nur konsequent, wenn der rumänien-deutsche Schauspieler und Autor Hans Kehrer sei 1980 uraufgeführtes Stück "Zwei Schwestern" auf das Minimum an personalem Aufwand reduziert hat. Der Schicksalsweg dieser beiden, Banater Bäuerinnen, - "eine schwäbische Passion", wie es im Untertitel heißt, - wird nicht zum folkloristischen Schlachtengemälde des Terrors und der Trauer ausstaffiert, sondern zu einer Art Lebensbeichte verknappt, verdichtet. Wie eindringlich diese Form sein kann, zeigte jetzt insbesondere der erste Teil von Diogene Bihois Inszenierung der "Zwei Schwestern", die als Gastspiel des Deutschen Staatstheaters Temeswar ( Teatrul German de Stat Timisoara) bei den europäischen Kulturtagen in Karlsruhe zu sehen war.

Ein Bild beherrscht die erste Hälfte der Aufführung: Die beiden Schwestern sitzen in ihren dunklen Festtagstrachten am Tisch. Starr anfangs. Unbeweglich fast. Vor allem Resi, die Jüngere, thront einer massigen Statue gleich auf ihrem Sitzmöbel. Die Requisiten auf dem Tisch deuten den Anlass an, der bald Auslöser eines Rückblicks zwischen den beiden Schwestern wird. Es ist Resis 65. Geburtstag. Jahrzehnte gehütete Tabus gelten nun nicht mehr: Sie will "eemol de Stei runnerschüttle von der Bruscht", erklärt Resi in der singenden, süddeutsch geprägten derben Sprache der Banater Schwaben.

Vordergründig geht es um die Frage, wer das Haus von Resi erben soll – sie selbst ist kinderlos : ihr größter Kummer, Quell des Neides gegenüber ihrer älteren Schwester, die ihr, Resi, in jungen Jahren mit obskuren Medikationen gegen allzu frühe Schwangerschaft helfen wollte. Seither ist Resi unfruchtbar. Kinderlos. Allein. Einsam. Denn auch die Männer sind tot. Resis hölzern-unsensibler Mann starb im Krieg; die Ehegatten ihrer Schwester Juli erlagen den Folgen der Nachkriegsdemütigungen und Torturen, der Zwangsarbeit in sowjetischen Kohlegruben, der Zwangsumsiedlung in die rumänische Steppe, ins Baragan. Juli hat aber wenigstens noch ihre Kinder.

Die Szenerie ist gerade bis zur Pause gekennzeichnet von archaischer Strenge und Tragik. Das schwere Schicksal der Schwestern ist trotz mancher jahrelanger Trennungen eng ineinander verwoben. Das Resümee, das beide ziehen, entspricht einem Leidensinventar: Glück, das ist die seltene, immer zu kurze Ausnahme. Im Hintergrund die Kämpfe und Konflikte ihrer Zeit.

Sie dämmern auf, wie der Trojanische Krieg in den Epen Homers – aber das  ist die Katastrophe, die von Deutschland aus Europa überzog.

Beklemmend macht Hans Kehrers Zwei – Personen-Stück bewusst, wie oft die Menschen im Banat während der vergangenen 50 Jahre zu den Verlierern zählten: Von der deutschen Wehrmacht rekrutiert, von den Russen verschleppt, von den Rumänen geschunden, als Faschisten beargwöhnt. Im zweiten Teil des Stückes, in dem Kehrer vermehrt auf Probleme der Gegenwart hinweist – auf die Landflucht der Jugend oder den Drang zur Auswanderung nach Deutschland – geht von der anfänglichen Stärke etwas verloren. Dank der beiden sehr engagiert und konzentriert spielenden Darstellerinnen Ida Jarcsek-Gaza (Juli)  und Ildiko Jarscek-Zamfirescu (Resi) bleibt freilich auch dann jene Betroffenheit, die dieses Stück auslöst. Betroffenheit über ein Schicksal, das so oder ähnlich, sehr, sehr viele Menschen schlug.

 

BADISCHE NEUESTE NACHRICHTEN , 09.04.1991

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